Kritische und konstruktive Opposition in der Pandemie

Der Bundestag ist der zentrale Ort der politischen Debatte und Entscheidung in unserer Gesellschaft. Auch nach über 70 Jahren steht das Parlament vor immer neuen Herausforderungen.

So sind in Bund und Ländern Regierungen und Parlamente in der Verantwortung, Entscheidungen und Maßnahmen evidenzbasiert zu treffen, sie gut zu begründen, transparent zu kommunizieren und ihre Umsetzung zu kontrollieren. Bundesregierung und Ministerpräsident*innenkonferenz (MPK) können sich beraten und Empfehlungen geben – öffentliche Debatte, Beratung und Entscheidung liegen jedoch beim Parlament. 

Konstruktive Zusammenarbeit gegen die Pandemie

Für durchsetzungsfähige und öffentlichkeitswirksame Oppositionsarbeit im Bundestag ist das herausfordernd. Schwerwiegende Entscheidungen müssen schnell getroffen werden, um wirksam zu sein. Deutschland ist ein föderaler Staat. Deshalb benötigen fast alle Regelungen zur Bewältigung der Pandemie die Zustimmung der Mehrheit der Bundesländer und verlangen eine konstruktive Zusammenarbeit über Parteigrenzen hinweg.

Wir Grüne im Bundestag haben in der Pandemie bewiesen, dass wir diese Herausforderung annehmen: Mit einer kritischen und konstruktiven Oppositionsarbeit haben wir mit Union und SPD, mit der Bundesregierung und gemeinsam mit unseren Grünen in den Ländern um viele Vorhaben gerungen.

Wir sind der festen Überzeugung, dass es in dieser Krisenzeit mehr denn je auf verantwortungsvolle Politik ankommt. Bürgerinnen und Bürger tragen in diesen Monaten schwere Lasten, oft geraten sie an den Rand ihrer Kräfte. Sie haben ein Recht darauf, dass wir ihre Interessen in den Mittelpunkt stellen und nicht Profilierung auf Kosten der Krisenbewältigung betreiben.

Opposition muss Alternativen aufzeigen

In der Corona-Krise und ihrer Bewältigung sollte Oppositionspolitik nicht anhand größtmöglicher, öffentlichkeitswirksamer Distanzierung von der Regierung bemessen werden, sondern anhand von guten Alternativvorschlägen zum Kurs der Koalition. Und davon haben wir Grüne im Bundestag viele gemacht.

Wir haben gezeigt, dass Demokratie auch in der Krise funktioniert. Wir haben in dieser schwierigen Situation produktiv und kritisch gearbeitet: Maßnahmen, die notwendig waren, haben wir nicht von vorn herein abgelehnt, sondern verhandelt und versucht, so viel wie möglich herauszuholen – in Sachen Parlamentsbeteiligung und Rechtsstaatlichkeit ebenso wie bei anderen inhaltlichen Vorschlägen. Das 3. Bevölkerungsschutzgesetz ist dafür ein Beispiel.

Beispiel 3. BevSchG

Während sich andere Oppositionsfraktionen rundheraus auf Ablehnung festgelegt hatten, haben wir durchgesetzt, dass Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung einer Befristung und einer besonderen Begründungspflicht unterliegen.

Die FDP hingegen hatte erst viel zu spät (am Tag vor der Abstimmung!) einen im Ansatz guten, aber mit keinem Bundesland überhaupt nur andiskutierten Gesetzentwurf vorgelegt.

Wir haben die Nachvollziehbarkeit und Rechtssicherheit gestärkt, auch wenn wir weitergehende Regelungen für notwendig erachtet haben. Für die Bekämpfung der zweiten Welle der Pandemie wäre das Scheitern der Neufassung der besonderen Schutzmaßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von Corona (§ 28a Infektionsschutzgesetz) im Bundestag verheerend gewesen. 

Bundestag auch in der Krise arbeitsfähig

Wir haben zu jedem Zeitpunkt die Beteiligung des Bundestages in der Pandemiebekämpfung eingefordert. Nicht immer waren dabei Linke oder FDP lautstark an unserer Seite vernehmbar: Von Anfang an haben wir dafür gekämpft, dass die verfassungsrelevanten Fragen im Infektionsschutzrecht gemeinsam von Rechtsausschuss und Gesundheitsausschuss beraten werden.

Wir haben erreicht, dass Anhörungen im Gesundheitsausschuss verlängert wurden. Ohne uns Grüne hätte es kein Fachgespräch zur schwierigen Frage der Verteilung knapper Behandlungsressourcen gegeben. Die Änderung zur Geschäftsordnung (§126a) des Bundestages wurde von uns angeregt. Sie hat den Bundestag fit gemacht für ein verantwortungsvolles Arbeiten in der Pandemie. Damit konnten wir erfolgreich allen Überlegungen der Einsetzung eines Notparlamentes eine Absage erteilen. 

In der Krise zeigt der Bundestag, dass er arbeitsfähig ist. Kontroll- und Gesetzgebung finden statt. Die Funktionsfähigkeit ist gesichert. 

Klar ist, weder Kabinettsbeschlüsse der Bundesregierung noch Konferenzen der Ministerpräsident*innen ersetzen Debatte, Beratung und Entscheidung im Bundestag. Dieser tagt öffentlich.

Zum Bundestag gehören aber auch die Ausschüsse, die bis heute – zu unserem Bedauern – nicht öffentlich tagen, weil Union, SPD und FDP das verhindern.  

PR-Aktion von FDP und Linke

Die nun öffentlich zur Schau gestellte Empörung der beiden Fraktionsvorsitzenden von FDP und Linke ist völlig deplatziert. Insbesondere die FDP gibt sich öffentlich brüskiert darüber, dass die Grünen eine Sondersitzung des Bundestages in dieser Woche nicht mitgetragen hätten. Dabei hatte die FDP selbst gar keinen formalen Antrag dazu gestellt. Aber nicht nur deshalb hat uns diese PR-Aktion nicht überzeugt.

Wir haben, als bekannt wurde, dass das für den 25. Januar geplanten Bund-Länder-Gespräche vorgezogen werden, entschieden, dass Sondersitzungen der entscheidenden Ausschüsse für Gesundheit und Wirtschaft verbunden mit einer Plenarbefassung und Regierungserklärung zu Beginn der nächsten regulären Sitzungswoche der bessere Weg sind. Zumal für die Umsetzung der Corona-Maßnahmen in erster Linie die Länder zuständig sind.

Unsere Fraktion streitet seit Mai 2020 für mehr Parlamentsbeteiligung. In unserem Antrag fordern wir im Mai 2020 die Einbeziehung von Bundestag und Bundesrat bei den Corona-Maßnahmen. Das hat die Große Koalition allerdings verhindert.

So haben wir aus Verantwortung für den Infektionsschutz eine Abwägungsentscheidung getroffen: über 700 Abgeordnete in Zeiten der Pandemie für eine zweistündige Debatte zusammenkommen zu lassen, ohne genau zu wissen, ob überhaupt und wenn ja, welche Empfehlungen Bund und Länder aussprechen werden, hat uns zu einem gestuften Verfahren veranlasst. Zu dieser Entscheidung stehen wir. So sieht Verantwortung aus.

Am Dienstag und Mittwoch dieser Woche tagten auf grüne Initiative der Gesundheits- und der Wirtschaftsausschuss – mit wichtigen Erkenntnissen für unsere fachlich-inhaltliche Arbeit. Die Beratungen haben deutlich gemacht, dass unser Vorschlag zum Homeoffice trägt und jetzt umgesetzt wird. Das ist in der Sache ein großer Erfolg für sehr viele Menschen, für ihren ganz konkreten Schutz und für die Eindämmung der Pandemie insgesamt. Im Wirtschaftsausschuss wurde auch zu Tage gefördert, dass die für viele die wichtige Überbrückungshilfe 3 immer noch nicht fließt.

Kritik, wo nötig – machen, wo sinnvoll

Wir werden unseren klar inhaltlichen Kurs in der Pandemiebekämpfung weiter verfolgen, statt Fundamentalopposition zu betreiben.

Wir werden uns darauf konzentrieren, für klare, transparente, einheitliche Maßnahmen zu streiten, die Wirksamkeit entfalten. Nach der von uns lange geforderten Umsetzung von mehr Homeoffice brauchen wir jetzt Zugänge zu Schnelltests für alle, wir brauchen die Einsetzung eines interdisziplinären Pandemierates, das Einlösen der Zusage der Bundesregierung von Wirtschaftshilfen und Überbrückungsgeldern für Soloselbständige, kleine Betriebe, Einzelhandel, Gastronomie und Kulturschaffende. Und wir brauchen mehr Unterstützung für Familien und Kinder. Diese dürfen nicht immer wieder hinten anstehen, wenn es um die Bewältigung des Lebensalltags und Unterstützungsangebote geht. Und es muss vorangehen mit dem Impfen, der Bereitstellung von Impfstoff und der Aufklärung.

Mit einem Kompass durch die Krise

Die Corona-Krise fordert uns alle, sie stellt unsere Gesellschaft und unseren demokratischen Rechtsstaat vor große Herausforderungen. Akzeptanz zu halten, notwendige und wirksame Maßnahmen auf den Weg zu bringen, Einschränkungen von Freiheitsrechten mit zu verantworten: all das sind äußerst schwierige Abwägungen. Auch für uns Grüne im Bundestag.

Es muss uns gelingen, gemeinsam durch diese Krise zu kommen. Wir haben einen klaren Kompass. Ob das für andere Fraktionen gilt, dürfen diese für sich entscheiden.

Britta Haßelmann, Erste Parlamentarische Geschäftsführerin

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