Der NSA-Skandal weitet sich aus, Ägypten benötigt ein neues demokratisches Fundament nach dem Militärputsch, und die Energiewende soll weiterhin ausgebremst werden. Claudia Roth im Interview zu den aktuellen Themen der Woche.
gruene.de: In einem E-Mail Interview berichtet Edward Snowden, dass deutsche Behörden die Aktivitäten des NSA decken würden. Kann eine solche Zusammenarbeit wirklich ohne Kenntnis der politisch Verantwortlichen geschehen?
Claudia Roth: Ich erwarte von dieser Bundesregierung, dass sie endlich mal redet und Snowden nicht der einzige Aufklärer bleibt. Die Merkel-Koalition muss klar machen, in welchem Ausmaß der deutsche Geheimdienst am Abhörskandal beteiligt ist. Es verstärkt sich der Eindruck, dass es nicht nur um Mitwisser- sondern auch um Mittäterschaft geht. Dieses Erdbeben der Grundrechte muss lückenlos aufgeklärt und unterbunden werden. Wir lassen uns von der Union auch nicht für blöd verkaufen, wenn es um Datenschutz geht. Mindestspeicherfristen sind nichts anderes als eine Vorratsdatenspeicherung – auf diesen Etikettenschwindel fallen wir nicht rein. Wir lehnen die Vorratsdatenspeicherung ab. Die anlasslose Speicherung von Kommunikationsdaten ist bürgerrechtsfeindlich und stellt die Bevölkerung unter Generalverdacht.
Welche Konsequenzen sollten aus den Enthüllungen gezogen werden?
Die Sinnhaftigkeit von Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen steht derzeit komplett in Frage. Wenn ein Verhandlungspartner, durch Industriespionage schon vorher unsere Interessen kennt, sind faire Verhandlungen gar nicht mehr möglich. Vor einem Freihandelsabkommen brauchen wir ein Abkommen zu Bürger- und Freiheitsrechten. Außerdem sollten das bisherige Safe Harbor, SWIFT und die verschiendenen PNR-Abkommen aufgekündigt und neu verhandelt werden.
Ein weiteres Mitglied der Merkel-Koalition steht vor dem Absprung. Sollte Verteidigungsminster de Maizière Nato-Generalsekretär werden?
Dass Abrufminister de Maizière zum Öttinger 2.0 gemacht werden soll, zeigt wie ramponiert sein Ruf in Deutschland inzwischen ist. Es kann doch nicht sein, dass Brüssel der Abschiebebahnhof für Merkels durchgefallene Persönlichkeiten wird. Allerdings erwarte ich eine ganz andere Politik vom Verteidungsministerium. Es verkommt immer mehr zu einem Beschaffungsministerium für EADS (European Aeronautic Defence and Space Company). Wir brauchen keine 180 Eurofighter. Die Bundesregierung muss mit EADS verhandeln, wie die Bestellungen storniert werden können.
In Ägypten überschlagen sich die Ereignisse. Teilst Du die Freude der DemonstrantInnen auf dem Tahrir-Platz?
Es darf angesichts des Jubels auf dem Tahrir-Platz nicht vergessen werden, dass Ägypten gerade einen Militärputsch erlebt hat. Daher ist es wichtig, dass es auf dem Weg zu mehr Demokratie auch schnellstmöglich Neuwahlen gibt. Der EU kommt dabei eine wichtige Rolle zu: sie kann die notwendige Unterstützung leisten, um das Land wirtschaftlich wieder zu stabilisieren. Auch die deutsche Regierung kann etwas tun. Sie sollte aufhören Saudi-Arabien als strategischen Stabilitätspartner zu deklarieren. Saudi-Arabien unterstützt die salafistische Al-Nur-Partei in Ägypten und betreibt eine rückschrittliche und eskalierende Politik in der gesamten Region.
Kommen wir abschließend nochmal auf ein Thema zu sprechen, das uns schon seit Wochen beschäftigt: die Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG). Wie beurteilst du den aktuellen Einwurf der Chefs von Eon und Siemens?
Dankenswerterweise haben die beiden klar gemacht, worum es der Merkel-Koalition und ihrer Lobby wirklich geht: das Ziel ist eben nicht eine Strompreisbremse, sondern eine Ausbaubremse für Erneuerbare Energien. Dabei ist das EEG überhaupt nicht das Problem, sondern die exzessive Befreiung der Industrie. Die Zahl der Ausnahmen bei den Netzentgelten ist exzessiv angestiegen: 2010 waren 68 Unternehmen befreit, 2012 schon 3324. Das kostet die VerbraucherInnen vier Milliarden Euro. Die Zeche sollten aber nicht die VerbraucherInnen und die mittelständischen Unternehmen tragen. Deswegen wollen wir auch einen Energiesparfonds mit drei Milliarden ausstatten. Nur so erhalten auch Einkommensschwache die Mittel, um Energie zu sparen.