Rund ein Jahr nach Bekanntgabe des Atomausstiegs durch die schwarz-gelbe Bundesregierung melden sich mehr Energiewende-Kritiker zu Wort denn je. In Feldheim werden sie eines Besseren belehrt: Die kleine Gemeinde im Süden Brandenburgs zeigt, dass die Umstellung auf Erneuerbare Energien ganz schnell gehen kann. Ein Bericht von Madeleine Hofmann.
Die Stadt Treuenbrietzen hat man längst hinter sich gelassen wenn man abseits der Bundesstraße 2 Richtung Lutherstadt Wittenberg den Stadtteil Feldheim erreicht. In Feldheim gibt es nur wenige Straßen. Die Bewohner haben die Möglichkeit, mit dem Linienbus in die Stadt Treuenbrietzen zu fahren – etwa sechs mal am Tag. Es gibt hier außerdem eine Sportanlage und Bauernhöfe, hauptsächlich aber Grün- und Ackerflächen. Man kann sich eigentlich nicht vorstellen, weshalb man extra aus einer Metropole wie Berlin, London oder Tokio hierher reisen würde – und trotzdem ist die Gemeinde mit rund 3000 Besuchern pro Jahr bei 145 Einwohnern verhältnismäßig ein genauso beliebtes Besuchsziel wie die Hauptstadt. Denn so unscheinbar Feldheim auf den ersten Blick ist – es ist das erste energieautarke Dorf Deutschlands.
Während pessimistische Politiker und Bürger die Energiewende für gescheitert erklären, hat man sie hier in Feldheim selbst in die Hand genommen. Über angeblich der Energiewende geschuldete steigende Strom- und Heizkosten können die Feldheimer nur lächeln: „Wir können den Beweis antreten, dass es preiswerter wird“ verkündet Michael Knape, Bürgermeister der Stadt Treuenbrietzen. Er hat die Pläne, die man zur Nutzung der Windkraft in Feldheim schmiedete, von Anfang an mitverfolgt.
Feldheimer nehmen die Energiewende selbst in die Hand
„Richtig konkret wurde das Energie-Projekt aber erst, als etwa im Jahr 2007 die Idee vom ortseigenen Entwicklungs- und Produktionsbetrieb für Photovoltaik-Module und Steuerungstechnologie entstand“, erklärt Michael Knape. „Das Unternehmen wollte die Windenergie, die es in Feldheim direkt vor der Nase hat, natürlich auch nutzen.“ Auch der ortsansässige Agrarbetrieb war interessiert an selbstproduzierter Energie. Also schlossen sich die beiden Betriebe zusammen, gründeten eine GmbH und bauten eine Biogasanlage. „Es dauerte nicht lange bis aus der Bevölkerung heraus die Frage entstand, ob sich nicht auch die Bürger daran anschließen könnten“, erklärt Michael Knape. „Auf diese Forderung folgte eine lange Phase der Kalkulation und Schaffung von Rahmenbedingungen. Schließlich muss die Stadt den Bürgern ja Versorgungssicherheit gewähren.“ Die Verhandlungen mit dem örtlichen Netzbetreiber E.ON Edis entpuppten sich als besonders schwierig und langwierig. Da es teuer gewesen wäre, das vorhandene Stromnetz zu kaufen oder zu mieten, entschlossen sich die Bürger schließlich dazu, ein neues zu knüpfen.
Der etwa einjährigen Planungsphase folgte der Zusammenschluss der Dorfbewohner mit der Stadt und der Agrargenossenschaft zum eigenen örtlichen Energieversorger, der Feldheim Energie GmbH & Co. KG, und der Bau eines neuen Strom- und Wärmenetzes. „Bisher sind die Eigentümer von 39 Wohngebäuden und zwei Unternehmen an das Strom- und Wärmenetz angeschlossen. Jeder von ihnen hat 3000 Euro als Anteil an der Feldheim Energie GmbH & Co.KG eingezahlt. Diejenigen, die nicht an das Netz angeschlossen sind, versorgen sich selbst, zum Beispiel über Erdwärme“, erläutert Michael Knape.
Grüner, günstiger Strom
Eigentümerin des separaten Stromnetzes ist die brandenburgische Energiequelle GmbH, die das gesamte Energie-Konzept in Feldheim geplant und die entsprechenden Anlagen errichtet hat. „Aus unseren Steckdosen fließt nun grüner und gleichzeitig günstiger Strom“, freut sich der Bürgermeister. Für 16,6 Cent pro Kilowattstunde kauft die GmbH & Co. KG ihren Strom bei der Energiequelle ein – bei E.ON Edis wären es derzeit etwa 22 Cent. Außerdem kommt der Strom direkt aus dem nahegelegenen Windpark. Wärme liefert die Biogasanlage, die von der ansässigen Agrargenossenschaft mit Schweine- und Rindergülle, Maissilage sowie Getreideschrot beliefert wird. Zur Deckung zusätzlichen Bedarfs an besonders kalten Tagen steht außerdem ein Holzhackschnitzel-Heizwerk bereit. Damit hat sich das Dorf der Macht der großen Energiekonzerne entzogen.
Mittlerweile hat Feldheim mit seinem Energieprojekt international Aufmerksamkeit erregt. Politiker und Energiefachleute aus den USA, Japan, Mexiko, Australien und vielen anderen Ländern reisen nach Brandenburg, um sich das Energie-Musterbeispiel erklären zu lassen. „Seit Fukushima und seit dem Energiewende-Beschluss der Bundesregierung kommen auch mehr Menschen aus Deutschland, um sich bei uns Anregungen und Rat einzuholen“, erzählt Michael Knape. „Das Projekt hat unglaublich viel Potenzial!“
Das Interesse ist so groß, dass die Gemeinde derzeit ein „Neue-Energien-Forum“ plant, in dem das Projekt besser erklärt und Wissen weitergegeben werden kann. Derzeit bietet ein von Bürgern gegründeter, auf ehrenamtlicher Basis geführter Verein Führungen durch das Energie-Dorf an. Die Gemeinschaft spielt eine wichtige Rolle in Feldheim. „Für die Durchführung des Projekts war ein langjähriger Prozess des Vertrauensaufbaus notwendig“, erklärt Michael Knape. „Dabei war es von entscheidender Bedeutung, dass die Bürger immer mit einbezogen wurden. Mehr Beteiligung ging eigentlich gar nicht.“
Die Motivation bleibt weiterhin erhalten, denn für die Bürger ist das Projekt noch nicht beendet. Gerade erst wurde die Baugenehmigung für einen zehn Megawatt-Batteriespeicher für den Windpark eingeholt, damit die überschüssige Energie in Zukunft nicht verloren geht. Außerdem wird derzeit geprüft, ob eine Ausweitung des Projekts auf die Stadt möglich wäre. Es könnte kaum besser laufen für die energieautarke Gemeinde.
Doch ein Wunsch bleibt unerfüllt: Der Status eines öffentlichen Energieversorgers. Derzeit dürfen nur Eigentümer des Netzes mit der örtlichen Energie versorgt werden. Das führt dazu, dass Bürger, die nur zur Miete in Feldheim wohnen und somit nicht am Netz beteiligt sind, auch nicht mit der vor Ort erzeugten Energie versorgt werden dürfen. „Diese Bürger müssen den Strom teuer von E.ON Edis kaufen, obwohl der günstige, saubere Strom vor der Haustür produziert wird“, sagt Michael Knape. „Das ist volkswirtschaftlicher Blödsinn.“ Ihm zufolge sind die gesetzlichen Rahmenbedingungen zur Energieversorgung verbesserungsbedürftig: „Mit der Entscheidung zur Energiewende auf der Basis erneuerbarer Energien hat man sich für die Dezentralität entschieden. Wir hoffen, dass der Gesetzgeber dies erkennt und die gesetzlichen Rahmenbedingungen zügig ändert. Erst dann kann die Energiewende erfolgreich umgesetzt werden.“