Die europäische Einigung ist eine einzigartige Erfolgsgeschichte: Keine Region dieser Erde ist friedlicher, offener, sozialer und wohlhabender. Aber Profitgier hat die Länder der Europäischen Union in die Krise gestürzt. Viele Mitgliedstaaten leiden unter Bankenpleiten, Spekulationsangriffen und horrenden Zinsen. Die Folge: Rekordverschuldung, Massenarbeitslosigkeit und Armut. Nur gemeinsam, solidarisch und demokratisch kann Europa diese Krise meistern. Ein Scheitern des Euro würde die Probleme in den Krisenländern nicht lösen, aber die europäische Einigung um Jahrzehnte zurückwerfen und unsere Wirtschaft in große Schwierigkeiten bringen.
Wo kommt die Krise her? „Staatsschulden!“ rufen die Konservativen quer durch Europa – und sie liegen falsch. Im Kern leidet Europa noch immer an den Folgen einer weltweiten Bankenkrise, die vor vier Jahren mit der Pleite der Lehman Brothers begann. Wir erinnern uns: Jahrelang spekulierten Investmentbanker mit faulen Krediten. 2008 platzte die Blase, das Weltfinanzsystem stand vor dem Kollaps. Und wer musste retten? Die Nationalstaaten! Die Bankenrettung gelang nur auf Kosten von Steuergeldern und dramatisch wachsender Defizite. Erst dadurch geriet der Euro unter Druck – durch dieselben Spekulanten, die den Schlamassel mit angerichtet haben.
Die Finanzkrise legt weitere Schwächen der Europäischen Union offen: Die wachsende Ungleichheit und Vermögenskonzentration innerhalb der Union ist für das Finanzdesaster mitverantwortlich. Die mangelnde wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit einiger EU-Länder und eine fehlende Koordinierung der nationalen Finanz- und Wirtschaftspolitiken haben dazu geführt, dass einige wenige Staaten große Exportüberschüsse zu Lasten anderer Mitgliedsstaaten angehäuft haben. Hinzu kommt die Abhängigkeit von immer teureren Energieimporten: Im Jahr 2010 mussten die EU-Länder 296 Milliarden Euro allein für die Einfuhr von Rohöl bezahlen.
Kaputtsparen ist nicht die Lösung
Seit zwei Jahren hören wir von Angela Merkel nur eine Forderung: „Sparen, Sparen, Sparen!“ Die Kanzlerin pfuscht zögerlich an den Symptomen der Krise herum, statt mutig ihre Ursachen zu bekämpfen und endlich die Finanzmärkte an die Leine zu legen. Natürlich müssen die Krisenländer ihre Haushalte konsolidieren und nachhaltig wirtschaften. Das einseitige Spardiktat bewirkt aber das Gegenteil: In den betroffenen Ländern ist die Wirtschaft eingebrochen, die Arbeitslosigkeit gestiegen – und die Schulden auch. Das Vertrauen in die Demokratie hingegen ist dramatisch gesunken, nationalistische Bewegungen befinden sich auf dem Vormarsch.
Kurskorrektur erzwungen
In den Verhandlungen zum EU-Fiskalpakt haben GRÜNE und SPD die Regierung zu deutlichen Korrekturen gezwungen: Deutschland und acht weitere EU-Länder gehen nun voran und führen endlich eine Finanztransaktionssteuer auf den Handel mit Aktien und spekulativen „Finanzprodukten“ ein. Diese Steuer wirkt nicht nur wie eine kalte Dusche auf das überhitzte Finanzcasino, sondern beteiligt endlich die Verursacher der Krise an ihren Kosten. Außerdem werden EU-Mittel darauf konzentriert, wirtschaftsschwachen Mitgliedsstaaten mit Impulsen für nachhaltiges Wachstum aus der Rezession zu helfen. Nach diesen Verhandlungserfolgen haben wir GRÜNE dem Fiskalpakt zugestimmt, durch den sich die Unterzeichnerländer verpflichten, Verschuldung abzubauen und Schuldenbremsen in ihre Verfassungen zu schreiben.
Der Rettungschirm ist notwendig
Auch dem Europäischen Stabilisierungsmechanismus (ESM) haben wir zugestimmt. Der ESM kann am Kapitalmarkt zu günstigen Zinsen Geld aufnehmen und als Kredit an Not leidende Länder weiterreichen. Wer Hilfsgelder in Anspruch nimmt, muss sich einer wirtschafts- und haushaltspolitischen Kontrolle unterwerfen. Der ESM ist also keineswegs ein Selbstbedienungsladen für klamme Länder, wie er gerne von Kritikern dargestellt wird. Er ist ein notwendiger Rettungsschirm, damit Staatshaushalte nicht durch absurd hohe Zinsen in den Ruin getrieben werden, und damit Spekulanten abgeschreckt werden, gegen europäische Länder zu „wetten“.
Was jetzt getan werden muss
Wenn der Euro funktionieren soll, müssen die EU-Staaten endlich ihre Finanz-, Wirtschafts- und Sozialpolitik enger aufeinander abstimmen – in Richtung einer echten Wirtschafts- und Solidarunion. Das heißt konkret: Um die Staaten aus der Geiselhaft des Finanzsektors zu befreien, braucht Europa eine starke gemeinsame Bankenaufsicht, die Banken zwingt solide zu wirtschaften. Die Finanztransaktionssteuer muss so schnell wie möglich eingeführt werden. Um den Krisenstaaten überhaupt den Schuldenabbau zu ermöglichen, wollen wir einen Altschuldentilgungsfonds einführen. Damit würde gleichzeitig die hohe Zinslast von Spanien oder Italien genommen werden. Gemeinsame europäische Anleihen (Eurobonds) können langfristig dafür sorgen, dass Staaten sich nicht zu Wucherzinsen refinanzieren müssen. Um Vermögende stärker an den Kosten der Krisenbewältigung zu beteiligen, wollen wir eine europaweite Vermögensabgabe einführen. Außerdem braucht Europa endlich eine gemeinsame Steuerpolitik und muss Steuerschlupflöcher schließen. Aus der Krise hilft nur Grün Damit die Krisenstaaten wirtschaftlich wieder auf die Beine kommen, brauchen sie Investitionen in Zukunftsbranchen: Erneuerbare Energien, Ressourceneffizienz, umweltfreundliche Produkte, aber auch Schulen, Universitäten, Betreuungs- und Pflegeeinrichtungen. Gerade die Krisenländer des Mittelmeerraums haben klimatisch ideale Voraussetzungen für eine grüne Energieversorgung. Deshalb wollen wir in einem ersten Schritt vorhandene EU-Mittel zielgerichteter verwenden, um umweltschonendes Wachstum zu forcieren und die Schaffung zukunftsfähiger Arbeitsplätze zu unterstützen.
Mehr Europa geht nur mit mehr Demokratie In Brüssel wird viel zu viel in Hinterzimmern ausgehandelt, während die Zivilgesellschaft und vor allem das Europäische Parlament draußen bleiben. Wir kämpfen daher für eine Stärkung des Europäischen Parlaments, der einzigen echten Volksvertretung auf europäischer Ebene – so wie wir vor dem Bundesverfassungsgericht erfolgreich geklagt haben, um die Beteiligungsrechte des Bundestages zu schützen. Wenn im Zuge der Eurorettung die Kompetenzen zwischen Europäischer Union und den Mitgliedsstaaten neu geregelt werden müssen, darf das nicht über die Köpfe der Menschen hinweg geschehen. Wir schlagen deshalb einen europäischen Konvent vor, in dem Politik und Zivilgesellschaft gemeinsam über Änderungen europäischer Verträge diskutieren. Auch auf Bundesebene könnte dann eine verfassungsgebende Versammlung über die Rolle des Grundgesetzes beraten. Eines unserer Ziele ist dabei, dass die Bürgerinnen und Bürger Europas in Zukunft in einem europaweiten Volksentscheid über wichtige europäische Fragen entscheiden können. Die Debatte über nötige Reformen der Politik in der Europäischen Union ist das Eine. Wir werden jedoch unser Ziel eines vereinten Europas nur dann erreichen, wenn die Politik sich nicht vor den Bürgerinnen und Bürgern versteckt, sondern die einzelnen Reformschritte erklärt und transparent mit ihnen darüber diskutiert statt über ihre Köpfe hinweg zu entscheiden.