Schwarz-Gelb wird zum Tollhaus

Im Interview mit gruene.de spricht Claudia Roth über die von Schwarz-Gelb durchgedrückte Novellierung des Meldegesetzes, die Kritik von Bundespräsident Joachim Gauck an der Krisenkommunikation von Bundeskanzlerin Merkel und Kristina Schröders Pläne zur Verschärfung des Jugendschutzgsetzes.

gruene.de: Die Bundesregierung hat eine Neufassung des Meldegesetzes durch den Bundestag gedrückt, nach der öffentliche Behörden in Zukunft mit den Meldedaten der Bürgerinnen und Bürger handeln können. Was sagst Du dazu?

Claudia Roth: Dieses Gesetz und die Art und Weise, wie es zu Stande kam, zeigt, dass Schwarz-Gelb immer mehr zu einem Tollhaus wird, in dem es drunter und drüber geht. Wie kann es denn sein, dass die für Verbraucherrechte zuständige Ministerin Aigner sich jetzt, nach der Verabschiedung dieses Gesetzes plötzlich meldet und Beratungsbedarf anmeldet. Das ist doch Heuchelei. Sie ist Regierungsmitglied, eine führende Politikerin der CSU und hat das Gesetz also mit getragen. Mit diesem Meldegesetz wird massiv in die Rechte der Verbraucherinnen und Verbraucher eingegriffen. Die Verbraucherschutzministerin Aigner hat also entweder geschlafen, oder sie interessiert sich nicht sonderlich für ihren Job.

Und wo ist eigentlich die Justizministerin Leutheuser-Schnarrenberger, die sonst so gerne ihre Achtung für die Bürgerrechte hervorhebt? Das Gesetz ist ein massiver Angriff auf die informationelle Selbstbestimmung und schränkt den Datenschutz immens ein. So verkommen unsere Meldeämter zu Datendealern, und man hat noch nicht einmal ein Widerspruchsrecht auf die Weitergabe seiner Daten. Die zuständige Justizministerin hätte so ein Gesetz nie mit auf den Weg bringen dürfen.

Auch die Bedenken, die Horst Seehofers heute geäußert hat sind heuchlerisch. Es war doch gerade die CSU, die eine Verschärfung des Meldegesetzes vorangetrieben hat. Offensichtlich befindet sich die CSU im permanenten Wahlkampf. Das ist das Gegenteil von verantwortlicher Politik.

Der Datenschutzbeauftragte von Schleswig-Holstein, Thilo Weichert, spricht zurecht von einem gesetzlichen Wahnsinn. Die Bundesländer, in denen wir mitregieren, werden deshalb alles daran setzen, dass dieses Gesetz zu Fall kommt und es im Bundesrat ablehnen.

Bundespräsident Gauck hat Angela Merkel vorgeworfen, sie erkläre den Bürgerinnen und Bürgern die Politik der Bundesregierung in der Eurokrise nicht genug. Ist diese Kritik berechtigt?

Bundespräsident Gauck hat Recht, wenn er von Frau Merkel einfordert, dass sie erklären soll, was in Europa passiert. Dieser Appell nach der Notwendigkeit einer gesellschaftlichen Debatte richtet sich zurecht an die Bundeskanzlerin und die Bundesregierung. Denn die Menschen in Deutschland müssen endlich wissen, warum sie an Europa glauben sollen. Es geht um eine Vertrauensbildung in Europa und die Vergegenwärtigung, warum es im deutschen Interesse ist, ein starkes Europa zu haben. Es geht darum, dem aufkommenden chauvinistischen Rechtspopulismus etwas entgegenzusetzen.

Wir brauchen nicht ein deutsches Europa, sondern ein europäisches Deutschland. Bundeskanzlerin Merkel täte gut daran, klar zu machen, was ihre Vision von einem europäischen Deutschland ist. Sie darf ihre Europapolitik nicht länger darauf reduzieren, hinter den Krisen her herzurennen und lediglich Nothilfen zu leisten, sondern muss klar benennen wofür wir dieses Europa brauchen. Den Menschen in diesem Land ist nicht mehr klar, wofür Angela Merkel und diese Bundesregierung in der Europapolitik eigentlich steht. Die CSU mit Horst Seehofer wird immer mehr zu einem antieuropäischen Poltergeist und die FDP vertritt neoliberale Strategien. Solidarität in und für Europa, die übrigens auch im deutschen Interesse wäre, kommt bei ihr schon lange nicht mehr vor.

Familienministerin Schröder plant eine Verschärfung des Jugendschutzgesetzes, wonach Jugendliche unter 16 Jahren öffentliche Veranstaltungen, auf denen Alkohol ausgeschenkt wird, in Zukunft um 20 Uhr verlassen müssen. Was ist davon zu halten?

Die sogenannte Familienministerin Schröder kommt einem so vor, als sei sie aus dem Poesiealbum der 50er Jahre gesprungen. Sie vertritt eine Politik, die miefig, spießig und erzkonservativ ist. Die Politik von Frau Schröder hat nichts mit der heutigen Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland zu tun. Sie betreibt das Gegenteil von emanzipatorischer Frauenpolitik, verantwortlicher und modernen Familienpolitik und ihr sogenanntes Jugendschutz-Vorhaben haut dem Fass nun den Boden aus. Sollte Kristina Schröder ihre Pläne durchsetzen, dürften Jugendliche unter 16 Jahren nicht mehr zu einem Public Viewing gehen, wo 500.000 Menschen um 20.45 Uhr mit der Nationalmannschaft mitfiebern. Was bedeutet das für die Festzeltsaison und die vielen Stadtfeste, die jetzt anstehen? Und auch die Junge Union wird sich sicher bei Frau Schröder bedanken, dass ihre Veranstaltungen in Zukunft erst ab 16 Jahre betreten werden dürfen. Familienministerin Schröder propagiert ein Erziehungsmodell, dass offensichtlich glaubt, durch staatliche Vorgaben und Verbote, durch staatliche Härte, junge Menschen erziehen zu können. Statt auf Aufklärung, Bildung und Vorbilder zu setzen und im Umgang mit Alkohol und Drogen aufzuklären, sollen Verbote alles regeln.

Frau Schröders Vorstoß reiht sich ein in ihrer bisherigen Linie als Ministerin. Die Mutter soll zu Hause am Herd bleiben, auch wenn sie gut ausgebildet ist und arbeiten möchte. Das Elterngeld soll überdacht wserden, weil sich an den Geburtenzahlen nicht viel geändert hat. Wir haben das Elterngeld nie als Gebärprämie verstanden. Es sollte viel mehr dazu beitragen, dass auch Väter mit erziehen. Und da sehen wir große Fortschritte. Aber die passen eben nicht in das 50er-Jahre-Denken einer Frau Schröder.

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