Für Spannung bis zur letzten Sekunde war gesorgt – doch der Versuch der konservativen Europäischen Volkspartei, die Abstimmung über ACTA zu verhindern, scheiterte. Am Ende stand eine sehr große Mehrheit gegen das umstrittene Abkommen (478 „Nein“, 165 „Enthaltung“, 39 „Ja“). Damit ist ACTA endgültig gescheitert.
„Nach jahrelangen Verhandlungen und zahlreichen Debatten in Parlamenten und Öffentlichkeit ist der ACTA-Spuk endlich vorbei“, resümierte der sichtlich erleichterte innenpolitische Sprecher der Grünen Europafraktion, Jan Philipp Albrecht, nach der entscheidenden Abstimmung in der Straßburger Vollversammlung des Europaparlaments. ACTA war ursprünglich als Abkommen gegen Marken- und Produktpiraterie geplant. Doch im Rahmen eines undemokratischen und intransparenten Verhandlungsprozesses wurde es auf die repressive Durchsetzung von Urheberrechten erweitert, die die Freiheit im Internet massiv gefährdet hätte.
„Wäre ACTA in Kraft getreten, würde die Rechtsdurchsetzung im Internet und an den Grenzen forciert, ohne gleichermaßen Grundrechte und Verfahrensstandards zu garantieren“, fasst der Grüne Europaabgeordnete zusammen. Albrecht war einer der ersten Kritiker des Abkommens im Europäischen Parlament, das seit dem Vertrag von Lissabon (2009) internationalen Abkommen zustimmen muss, bevor sie in Kraft treten können. Ursprünglich waren die Grünen mit ihrer Kritik an dem Abkommen weitgehend allein. Doch der große Druck durch die Zivilgesellschaft seit Jahresbeginn, mit Demonstrationen in ganz Europa, hat die Mehrheiten in der europäischen Volksvertretung gedreht.
„Die europäische Zivilgesellschaft lebt!“, freut sich die Grüne handels- und entwicklungspolitische Sprecherin im Europaparlament, Ska Keller. „Dieser Tag ist auch ein Sieg für alle, die für die Freiheit im Internet, den Zugang zu Medizin und gegen die Hinterzimmerpolitik der EU-Kommission auf die Straße gegangen sind.“ Und auch für die Entwicklungsländer ist das heute ein guter Tag. So hatte Keller in den vergangenen Monaten immer wieder deutlich gemacht, dass der Zugang zu bezahlbarer Generika-Medizin durch ACTA ebenfalls gefährdet würde. „ACTA hilft auch nichts bei der Bekämpfung von Pillen, bei denen der Inhalt gefälscht wurde, und die unwirksam oder schädlich sind. Denn ACTA schaut nur auf die Packung, nicht auf den Inhalt und trägt nichts zur Sicherheit von Medikamenten bei. Die Niederlage von ACTA ist auch ein Sieg für den Multilateralismus – das Modell einer Koalition der Willigen ist überholt.“
Doch wie geht es jetzt weiter? Nachdem das Abkommen nun politisch abgelehnt wurde, erübrigt sich das ausstehende Gutachten des Europäischen Gerichtshofs zur Vereinbarkeit von ACTA mit den Europäischen Grundrechten und Verträgen. Die Last-Minute-Entscheidung der EU-Kommission, das Abkommen doch an den EUGH zu verweisen, war vor allem taktischer Natur: Nachdem sich eine politische Mehrheit gegen ACTA herausgebildet hatte, sollte so Zeit gewonnen werden. Auch das ist nun gescheitert.
Die EU-Kommission muss daraus die Lehre ziehen, dass sie intransparente Verhandlungen ohne Einbeziehung des Europäischen Parlaments und der Zivilgesellschaft zukünftig vermeiden sollte. Der heutige Tag ist damit auch ein großer Sieg für die europäische Demokratie.
Dass das Urheberrecht im digitalen Zeitalter überarbeitet werden muss, steht aber außer Frage. In seiner derzeitigen Form entspricht es nicht mehr der Lebensrealität des 21. Jahrhunderts. Ein entsprechender Vorschlag der EU-Kommission muss daher bald kommen. Allerdings kann eine repressive Durchsetzung von Urheberrechten, die zu einer Kriminalisierung bis hin zur Kappung des Internetzugangs von Privatnutzern geht, nicht die Lösung sein.
Aus Grüner Sicht braucht es eine strikte Trennung der Regeln zu privatem und kommerziellem Datentausch. Darüber hinaus müssen die Rechte der Künstlerinnen und Künstler gegenüber den Verwertungsgesellschaften gestärkt werden. Mittelfristig kann außerdem eine Abgabe auf z. B. den Internetzugang sinnvoll sein, die dann den Künstlerinnen und Künstlern zugute käme – so wie das früher z. B. für Leerkassetten galt und heute auch für digitale Speichermedien der Fall ist. Darüber hinaus muss das Urheberrecht neue Nutzungsformen wie Remixe einfacher erlauben.